6. November 2007

DOSSIER: SOFT MACHINE – Porträt Robert Wyatt

Der Freidenker und Internationalist

Robert Wyatt gilt als Eklektiker. Und doch behauptet der kompromisslose Kultheld in seiner Musik immer nur das Gleiche zu tun: Kontraste zu schaffen.

Von Nick Joyce
Robert Wyatt – fotografiert von Alfie Wyatt. Foto: Domino Records

Gerne wäre man 1974 dabei gewesen, als sich Robert Wyatt mit den Produzenten der Fernsehsendung «Top Of The Pops» anlegte. Diese hatten dem 29-jährigen Paraplegiker zu verstehen gegeben, dass Rollstuhlfahrer nicht so recht ins jugendliche Konzept ihrer Musikshow passten, und dass Wyatt seine Coverversion von Neil Diamonds «I’m A Believer» doch bitte von einer regulären Sitzgelegenheit aus vortragen solle. Der ehemalige Soft-Machine-Sänger und -Schlagzeuger wollte seine Behinderung aber nicht übertünchen und bestand darauf, seinen Rollstuhl mit vor die Kameras zu nehmen.

Diese für die Fernsehmacher peinliche Episode sagt viel über Robert Wyatts Kämpfernatur aus. Der Unfall, bei dem er im angetrunkenen Zustand sein Rückgrat gebrochen hatte, lag erst ein Jahr zurück, doch Wyatt war bereit, den Auftritt vor einem millionenstarken Fernsehpublikum für ein Prinzip zu opfern. So viel Eigensinn verdient Respekt.

Natürlich hatte er es nie auf kommerziellen Erfolg abgesehen: Schliesslich hatte Wyatt «I’m A Believer» nur auf Drängen seiner Plattenfirma Virgin eingespielt, der ein Hit mit Kuriositätenbonus vorschwebte. Obwohl Wyatt nichts gegen Popsongs und schon gar nichts gegen das Interpretieren fremder Stücke hatte, war er am ökonomischen Ausschlachten seiner eigenen Musik schlicht nicht interessiert. Für ihn gab es die viel beschworene Schere zwischen Erfolg und Flop nicht, für ihn stand die Arbeit mit wechselnden Sounds und Weggefährten im Vordergrund, die so gut harmonierten wie «Knoblauch und Corn Flakes».

Entsprechend verglich er sich unlängst mit dem Besitzer eines Tante-Emma-Ladens, der so lange zufrieden ist, wie er von seinem kleinen Umsatz leben kann. Und tatsächlich hat der kreative Kleinunternehmer sich auch alle Freiheiten herausgenommen, die ihm als Aussenseiter im Musikgeschäft zustehen: auf seinen Platten findet sich alles – von sensiblem Pop über wilde Jazz- Improvisationen bis hin zu Weltmusik-Exkursen und Ambient-Bedächtigkeit. «Aber eigentlich bin ich nur jemand, der mit Pfeilen auf eine Zielscheibe schiesst. Ich versuche, eigentlich immer nur ins Schwarze zu treffen, aber dabei gehen die meisten Pfeile daneben. Das schafft eine Illusion der Vielseitigkeit.»

Gerade wegen dieser fehlenden Trefferquote hat Wyatts Musik nichts von ihrer Kraft verloren. Im Gegenteil. «Ich versuche nicht, an einen längst vergangenen Triumph anzuknüpfen, weil ich über mein eigenes Schaffen eher enttäuscht bin. Darum versuche ich immer noch, meine Sache immer besser zu machen. Das hält mich hungrig.»

Und bei dieser Mission zieht er keine Grenzen zwischen dem Politischen und dem Persönlichen. Auf seinem neuen Album «comicopera» macht er einen weiten thematischen Bogen von Glücksgefühlen über Verzweiflung und über den weltweiten Terror bis hin zu Zorn über die Kriegstreiberei der britischen und amerikanischen Regierungen. Gekonnt setzt Wyatt verschiedene Musikformen und auch fremde Sprachen ein – schliesslich ist er nicht bloss ein Freidenker, sondern ein Internationalist. Dass ihm das dichte Wechselbad von Stimmungen und Themen so gut gelingt, liegt einerseits an der beinah berauschenden Einfachheit seiner Musik. Auf Wyatts Platten ist immer kurz vor Weihnachten, denn er scheint das Musikmachen immer wieder von neuem entdecken zu können. Andererseits spielt die klagende Stimme mit ihrer grossen Spannweite und emotionalen Dringlichkeit eine wichtige Rolle. Ein Gesangsvirtuose ist Wyatt beileibe nicht, aber doch ein Original. «Ich wäre gerne ein Perfektionist», gab er unlängst zu. «Und ich halte mich auch immer wieder für einen – bis ich die Musik höre, die ich gerade aufgenommen habe.»

«comicopera» ist aber nicht nur eines von Wyatts besten Alben, es ist auch eines seiner medienträchtigsten. Dank der Schützenhilfe illustrer Bewunderer und Bewunderinnen wie David Gilmour und Björk, die ihn in den letzten Jahren zu sich auf die Bühne und ins Studio geholt haben, hat Wyatt heute ein höheres Profil als 1974, als er mit «I’m A Believer» in den unteren Rängen der britischen Single-Charts stand. Darum würde es heute wohl keiner mehr wagen, dieser Kämpfernatur den Rollstuhl abzunehmen. 

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Aktuelles Album: «comicopera» (Domino)

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