24. September 2013

Dieter Meier im Aargauer Kunsthaus

Die Hintergründigkeit des «Unnützen»

Kunst als Lust und Lust an der Kunst: seit Jahrzehnten vergnügt sich Dieter Meier auf kreativen Spielplätzen und ignoriert dabei bewusst und konsequent stilistische Schubladen. Nun ehrt ihn das Aargauer Kunsthaus mit einer Retrospektive.

von Rudolf Amstutz
Dieter Meier

Als 1994 im Zürcher Kunsthaus unter dem Titel «Porträt eines Universums» das zeichnerische Werk Friedrich Dürrenmatts zu retrospektiven Ehren kam, provozierte dies an der Presseführung einen hochgeachteten und national bekannten Kunstkritiker zu der rhetorischen Frage: «Was hat Dürrenmatt in einem Kunsthaus zu suchen?».

Die Angst, dass Fremde im eigenen Revier wildern könnten, ist nicht neu. Ebensowenig neu ist allerdings auch die Tatsache, dass gerade an den Rändern, jenseits der Schubladen und abseits streng gezogener Horizonte, die Kunst sich oft am wohlsten fühlt. Dort wo die Kreativität sich nicht an den hochgezogenen Wänden definierter Strukturen permanent den Kopf schlägt. Dort, wo die eine künstlerische Sprache auf die andere trifft, kreiert sie neue Perspektiven auf das vom Künstler geschaffene Universum. Die Dürrenmattsche Welt – wie jene Kafkas – ist ein völlig einzigartiger Raum, der nicht alleine durch die Worte existiert. Dürrenmatt hat eine Befindlichkeit, ein Gefühl, eine Daseinsanalyse erschaffen, die sich in seinen Zeichnungen ebenso widerspiegelt wie in seinen stundenlangen Gesprächen mit Freunden zu einem guten Glas Wein.

Der Übergang mag plump erscheinen, schliesslich trinkt Dieter Meier nicht nur gerne Wein, er produziert ihn auch selber. Diesen Aspekt allerdings als reines Geschäftsgebahren des Tausendsassas Meier abzutun, scheitert nicht nur am Preis/Leistungsverhältnis seiner Gewächse, sondern würde auch das philosophische Potenzial dahinter ignorieren. Nichtsdestotrotz hat es die altehrwürdige Hamburger Wochenzeitung «Die Zeit» tatsächlich geschafft, 19 Jahre nach Dürrenmatt in Zürich nun im Falle von Meier und seiner Präsenz im Aargauer Kunsthaus unter dem Titel «Und das soll Kunst sein?» erneut die Berechtigungsfrage zu stellen.
Fazit: Bewegt sich ein Künstler frei von stilistischen Zwängen, verunsichert dies den akademischen Blick, eröffnet aber dem Künstler einen Lustgarten, in dessen Spiegelsaal er sich endlos in immer neuen Perspektiven spiegeln kann. Diese Loslösung von allen Grenzen verlangt allerdings als Gegenleistung auch vom Betrachter, sich vorgängig bereits gemachter Vorstellungen und Meinungen zu entledigen.
Im Falle von Meiers Universum ist es nicht weiter verwunderlich, dass dies dem Publikum leichter fällt als dem Kunstkritiker, ist doch Meier in erster Linie als die eine Hälfte des Duos Yello populär geworden. Und gerade in der universellen Sprache der Musik scheinen die Türen zu anderen künstlerischen Sprachen offener zu sein, da sich zum Klang in den meisten Fällen auch die Performance und die visuelle Umsetzung gesellen.
So sind denn auch die Videos von Yello, die alle von Meier inszeniert wurden, Dreh- und Angelpunkt einer Ausstellung, die in 14 Räumen den Konzeptkünstler in all seinen Facetten präsentiert.

An deren Anfang steht «5 Tage» aus dem Jahr 1969, eine Performance, die Meier ohne Ankündigung und Erlaubnis vor dem Zürcher Kunsthaus abhielt: ein fünf Tage dauerndes Abzählen und Abfüllen von 100'000 Schrauben in Plastiktüten. Das Unnütze, wie es Meier nennt, steht oft im Mittelpunkt seiner frühen Aktionen. Doch hinter der Sinnlosigkeit, hinter dem Absurden verbirgt sich oft die reine Existenz, das wusste schon Albert Camus, der dies in «Der Mythos des Sisyphos» so treffend festhielt.
#-#IMG2#-#Ob sich in der Konsequenz seiner folgenden Arbeiten bereits die Absicht eines bewussten Konzeptes abzeichnete, weiss nur Meier allein. Da er sich oft selbst bei seinen Aktionen als Protagonist in den Mittelpunkt stellte, wurde er zudem immer wieder der Selbstdarstellung bezichtigt. Das mag vordergründig der Wahrheit entsprechen, verbirgt aber die Sicht auf das Hintergründige in den Werken von Dieter Meier. Die Aktion «Two Words» von 1971, bei der er in New York für je einen Dollar den Passanten ein «Yes» oder ein «No» abkaufte, scheint oberflächlich als Kalauer. Aus der heutigen Sicht betrachtet, in der die Zwischentöne einem rigorosen binären Weltbild gewichen sind, wirkt «Two Words» wie eine Aufforderung zu einer finalen Stellungnahme. Zudem liesse sich diese Performance als akustische Frühform der später mit Boris Plank entwickelten elektronischen Musik verstehen, die ja letztlich auch binär und damit nur aus Nullen und Einsen besteht.

New York, das in mehreren frühen Arbeiten als Kulisse diente, schlägt ebenfalls die Brücke zu Yello, deren Erfolg sich in der Heimat erst einstellte, nachdem das Lied «Bostitch» den Umweg über die Hip-Hop-DJs in der Bronx nahm. «Bostitch» steht auch für das Eigenleben der Werke, die vom Autodidakten Meier in die Welt gesetzt wurden: das Unverfängliche, das aus dem Nichts entstandene, sucht sich seinen eigenen Weg. Dies ist gut erkennbar in «29 Pictures in 5 Minutes» von 1970: vom Künstler als numerische und zeitlich beschränkte Bilderfolge konzipiert, erzählt diese in der Folge eine berührende Geschichte über die Einsamkeit. Es ist in seiner Gesamtheit ein lustvolles Spiel, das Dieter Meier mittlerweile seit mehr als vier Jahrzehnten betreibt: dem vermeintlich «Unnützen» eine Türe zu öffnen, damit es für sich Sinnfindung betreiben kann und in den Augen des Betrachters seine Hintergründigkeit offenbart.
Damit findet am Ende auch die Frage, was dies in einem Kunsthaus zu suchen habe, ihre ädaquate Antwort: Damit wir uns darin verlieren können. Und Dürrenmatt hätte ohne Zweifel angefügt: um anschliessend das Gesehene – in vino veritas – genüsslich zu vertiefen...

#-#IMG3#-##-#SMALL#-#Dieter Meier. In Conversation. Aargauer Kunsthaus, Aarau. Bis 17. November 2013.
Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen, die inhaltlich an den Ausstellungstitel anknüpft. Neben einem ausführlichen Essay von Madeleine Schuppli enthält der Katalog ein Interview mit Dieter Meier und Philip Ursprung, Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich. Mit zahlreichen Abbildungen der ausgestellten Werke und umfassender Biografie des Künstlers. Verlag für Moderne Kunst Nürnberg, 2013, 191 Seiten. CHF 48,00
Museum Webseite »

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