3. Juli 2013
Kanye Wests sechstes Album «Yeezus»

Kaltgepresst und kondensiert

#-#IMG2#-#«A monster about to come alive again», hört man Kanye West in «On Sight», dem ersten Track seines neuen, sechsten Albums «Yeezus» sagen. Dieses Versprechen lässt er allerdings erst verlauten, nachdem dem Hörer dies längst klar geworden ist, wird er doch ohne Vorwarnung mit einer knallharten, kompromisslosen elektronisch verzerrten Klangwand begrüsst, die sich West vom französischen Duo Daft Punk hat bauen lassen. Während deren jüngstes Album «Random Access Memories» eine Abkehr von der technoiden Haltung ist, und mit Eleganz und Klasse dem Hörer ein sommerlich groovendes Vergnügen beschert, werkeln Daft Punk auf vier der insgesamt zehn Songs von «Yeezus» im Auftrag eines Schocktherapeuten.

Die Überraschung beim ersten Anhören kommt auch daher, dass sich West im Vorfeld der Veröffentlichung kaum hat in die Karten blicken lassen. Ein paar mysteriös angekündigte Happenings in diversen Städten, bei denen Videos an die Häuserwand projiziert wurden und ein knüppelharter Live-Auftritt in der amerikanischen Sendung «Saturday Night Live» waren die einzigen Hinweise auf dieses von ihm nun als Monster bezeichnetes Album gewesen. Auch Singles sind keine geplant – ja, das Album selbst verzichtet gar auf ein Booklet: die CD steckt in einem nackten Jewelcase.

Sein letztes Album «My Beautiful Dark Twisted Fantasy» war zwar auch ein Monster, aber von ganz anderer Bauart. Damals errichtete Kanye West seinem grenzenlosen Ego eine musikalische Kathedrale, üppig und bombastisch, in jeder Sekunde überbordernd – Imax statt Cinemascope oder wie Amerikaner dies gerne nennen: «Size matters». «Yeezus» hat nichts mit seinem Vorgänger gemein: hier kommt nun das Ego kaltgepresst, kondensiert auf die Grösse eines schwarzen Lochs dem Publikum im Schnellfeuerverfahren um die Ohren geflogen. Mit Hip-Hop hat das nur noch bedingt zu tun. Die Stakkati, die verstörende Elektronik, das unentwegte Rumpeln und Pulsieren, die ganze Atemlosigkeit, mit der die 40 Minuten ohne Pause durchexerziert werden, erinnert in seiner Haltung an Punk und in seiner Umsetzung an Industrial. Die Musik von Bands wie Suicide, Ministry oder Nine Inch Nails ist «Yeezus» näher als alles, dass Kanye West in seiner eigenen Diskografie vorzuweisen hat.

Nachdem ein wie ein Fremdkörper wirkender Sample eines Gospelchores verkündet «You will get what you need, and it’s maybe not what you want», ist einem klar: hier wird einem nichts geschenkt. Hat man sich allerdings einmal an die Dunkelheit dieses von Produzent Rick Rubin reduzierten Klangraumes gewöhnt, ist es schwer, sich dessen hypnotischer Anziehungskraft zu widersetzen. Dieser konsequente Minimalismus besitzt neben seiner verstörenden unnachgiebigen Haltung auch eine entschlackende Wirkung. Hip-Hop tendiert oft dazu, sich pompös mit Samples und mit der Anwesenheit zuvieler Gäste aufzuplustern. «Yeezus» wirkt dagegen wie eine vertonte Hungerkur. Die Gäste zeigen sich diskret und und werden pointiert eingesetzt. So etwa der Chicagoer Rapper Chief Keef oder der Neofolker Justin Vernon von Bon Iver.

So eindrücklich dieses Album musikalisch auch ist und so bewundernswert es sich konsequent jeder Kommerzialität verweigert, so ambivalent ist dagegen dessen Inhalt. West, der der New York Times kürzlich in einem Interview klargemacht hat, dass es in der Musik  nichts vergleichbar Grosses wie ihn gäbe und dass er sich selbst als Visionär in der Tradition von Steve Jobs, Walt Disney und Howard Hughes sieht, versucht sich auf «Yeezus» als neuer Verkünder einer afroamerikanischen Identität, die in den USA bereits für einiges Kopfschütteln gesorgt hat. Dass er, der laut Times-Interview die Antworten auf alle Fragen parat hält, in einem Song verkündet «I Am A God» mag sich mit seiner napoleonischen Verhaltensstörung noch erklären. Dass er aber dann im musikalisch eindrücklichsten Track «Blood On The Leaves», Nina Simone’s Version von «Strange Fruit» missbraucht, ist mehr als blosse Provokation. Ist im Original von den an den Bäumen hängenden Opfer von Lynchmorden die Rede, steht die «fremde Frucht» bei ihm für die weisse Frau, mit der er ein Stelldichein hat.

Vielleicht hat er dabei ja an seine Gefährtin Kim Kardashian gedacht, die als Reality-TV-Star das Banale verkörpert und dank seiner «göttlichen Güte» nun Teil von etwas Grösserem geworden ist. Genie und Wahnsinn, sie liegen bei «Yeezus» so nah beieinander, dass ein genialer Schachzug von einem dummen Einfall kaum mehr zu unterscheiden ist.

Aber aufgepasst: es gab dies auch schon früher, dass symbolisch aufgeladene Bilder durch Banalisierung wieder zur Kunst erhoben wurden: Als Andy Warhol begann, den elektrischen Stuhl auf bunten Gemälden passend zum privaten Wohnzimmer abzubilden, hat die Welt auch den Kopf geschüttelt. Man sollte also Kanye West nicht aus den Augen lassen…

Rudolf Amstutz

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Kanye West. Yeezus. Def Jam / Universal

Official Website »

Kanye West - «Black Skinhead» (Live on SNL) »

Kanye West - «New Slaves» (Live on SNL) »

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