Koch-Schütz-Studer: «Walking And Stumbling Through Your Sleep»
Ein unendlicher von Klängen beseelter Raum
Auch 2013 garantiert der Name Koch-Schütz-Studer noch für spannende und überraschende Musik. Auf «Walking And Stumbling Through Your Sleep» tun sie dies gemeinsam mit Shelley Hirsch.
von Rudolf AmstutzSie gurrt, stöhnt, flüstert, schreit. Die Worte purzeln in freiem Fall – sprachübergreifend, als wäre der Turm zu Babel ein Kinderspielplatz, auf dem es sich herrlich fabulieren lässt. Bei Shelley Hirsch ist die Stimme Instrument und die Sprache Kunst. Zwischen kindlichem Gekicher, opernhafter Grösse und laszivem Röcheln bauen sich die herausfallenden Worte ihren eigenen Sinn und errichten dabei Häuser voller Witz und Aberwitz, erfüllt von poetischen Momenten und absurden Abgründen.
Völlig logisch also, dass Hans Koch (Bassklarinette, Saxophon, Electronics), Martin Schütz (Cello, Electronics) und Fredy Studer (Drums) die New Yorker Künstlerin in regelmässigen Abständen als kongeniale Partnerin in ihr eigenes klangliches Reich integrieren. Das Trio hat in den letzten zwanzig Jahren alle Hindernisse überwunden, stilistische Schubladen nicht nur eingerissen, sondern förmlich zertreten und an allen bislang begehbaren Rändern, ganz weit draussen und ohne Netz und Absicherung seine Fussabdrücke hinterlassen. Die dabei entstandene stilistische Selbstdefinition «Hardcore Chamber Music» untermauert jenen Ort, wo sich das Trio am wohlsten fühlt: inmitten eines Widerspruchs, der Twilight Zone zwischen laut und leise – dort wo der Dialog nicht mehr geführt wird, sondern sich selbstständig macht.
Aus Studioaufnahmen (2010) sowie Mitschnitten vom Jazzfestival Saalfelden (2011) hat nun Martin Schütz einen 50 Minuten dauernden homogenen Klangkörper geformt. In seiner Tätigkeit als Theater- und Hörspielkomponist hat er unzählige Klangkonzepte realisiert. Seine letzte Arbeit, die Hörspielfassung von Gerhard Meisters «In meinem Hals steckt eine Weltkugel» wurde für den renommierten «Prix Europe» nominiert. Er weiss also um die Wichtigkeit atmosphärischer Dichte. Die im vorliegenden Fall gewählte Dramaturgie der Titelfolge zeigt deshalb die Mechanik und die Möglichkeit improvisierender Musik eindrücklich auf. Das sich die vier Protagonisten blind verstehen, führt in der Folge zu einer Art Loslassen. Der Klang macht sich selbstständig, die Musiker werden zu Mitreisenden, die mit ihrer Virtuosität den eingeschlagenen Weg beobachten und notfalls sanft beeinflussen. Dabei kokettieren selbst die Instrumente immer wieder mit der eigenen Identität: die Bassklarinette von Hans Koch, die Stimme Shelley Hirschs oder das Cello von Martin Schütz verweigern sich unter Mithilfe elektronischer Verfremdung und angetrieben durch Fredy Studers Herz- und Rhythmusmaschinerie ihren traditionellen Rollen.
Der Albumtitel «Walking And Stumbling Through Your Sleep» ist demnach Programm: der schlafwandlerischen Sicherheit stellt das Quartett eine Topographie zur Verfügung, die jeglicher Eintönigkeit mit wuchtiger Kraft den Garaus macht. Die acht Titel einer detaillierten verbalen Beschreibung zu unterziehen, wäre allerdings unsinnig. Dieses stetig vorwärts getriebene Klanggebräu, das unentwegt seinen Zustand ändert und bei dem massiv aufgetürmte Skulpturen plötzlich und völlig überraschend gasförmig entweichen, entzieht sich der Sprache genauso, wie die Worte Schelley Hirschs ihrem zugeordneten Sinn.
Und das ist das Beeindruckende an einem neuen Album von Koch-Schütz-Studer: Dieses Trio schafft es immer wieder, dem Zuhörer ein bislang unerhörtes Abenteuer zu bieten. «Walking And Stumbling Through Your Sleep» ist einmal mehr Musik, bei der alles im Fluss bleibt und alle Türen weit geöffnet sind.
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#-#SMALL#-#Koch-Schütz-Studer with Shelley Hirsch. Walking And Stumbling Through Your Sleep. Intakt Records.#-#SMALL#-#