23. November 2013

Eminem

Wütend und unberechenbar

Eminem kämpft weiter mit sich selbst und begeistert auf «The Marshall Mathers LP 2» erneut mit grandioser Verbalarchitektur.

von Rudolf Amstutz
Sein eigener advocatus diaboli: Eminem alias Marshall Mathers. Bild: © Universal

Wenn junge Rapper in ihren Reimen ihre pubertären Vorstellungen von Glanz und Gloria, von sich unterwerfenden Frauen, schnellen Autos und dem Leben als Gangster abarbeiten, dann darf und sollte man ein Auge zudrücken. Von jenen Protagonisten aber, die mittlerweile ihr vierzigstes Lebensjahr hinter sich gebracht und dafür gesorgt haben, dass der Hip-Hop in den letzten beiden Jahrzehnten zum erfolgreichsten und experimentellsten Spielfeld der populären Musik geworden ist, erwartet man entsprechend Weisheit und Altersmilde.

Eminem, das wird auf «The Marshall Mathers LP 2» schnell klar, gibt dem Hörer weder das eine noch das andere. Der Titel und das Cover seines neunten Solowerks verweisen auf sein kommerziell erfolgreichstes Album, «The Marshall Mathers LP» aus dem Jahre 2000. Die neue Platte sei, verriet Eminem dem amerikanischen Magazin Rolling Stone, keine Fortsetzung, eher eine Überprüfung, Standortbestimmung und eine nostalgische Hommage an den Hip-Hop von einst. Dass er sich diesen Rückblick erlaubt, hat gute Gründe: seine beiden letzten Alben «Relapse» und «Recovery» waren Intermezzi der besonderen Art, handelten sie doch von seiner Tablettensucht, der drohenden Selbstzerstörung und der gerade rechtzeitig eingeleiteten Läuterung.

Dass der mittlerweile 41-jährige nun ein neues Kapitel mit einem aufdatierten Rückblick beginnt, leuchtet deshalb ein: Marshall Mathers, so sein bürgerlicher Name, befindet sich weiterhin in der Selbstanalyse. Von innerem Frieden keine Spur. Auch auf den neuen Songs rappt er sich an der unendlichen Dichte seiner lyrischen Reflektionen wund. Die Vergangenheit als Strassenjunge in einem heruntergekommenen (und mittlerweile bankrotten) Detroit wird er nicht los. Seine Alter Egos, die er einst als therapeutisches Mittel erfand, haben sich längst selbstständig gemacht: Slim Shady von «The Slim Shady LP» (1999), dieser homophobe Hohlkopf und frauenfeindliche Rotzbengel, der ätzend und zynisch die Welt in Grund und Boden stampft, taucht auch jetzt wieder auf. In «Bad Guy» übernimmt er die Rolle von Matthew, des Bruders von «Stan», jenem fiktiven Eminem-Fan, der sich auf dem früheren Album ob der Ignoranz und unerwiderten Liebe des Rappers das Leben nahm.  Und auf «So Much Better» skandiert er im Refrain gegenüber einer Freundin: «Mein Leben wäre so was von besser, wenn Du einfach tot umfallen würdest.»

Solche Ausbrüche weiss Eminem in der Zwischenzeit zu dosieren. Oftmals vertont er inhaltlich Heikles mit musikalischem Wohlklang wie in dem gemeinsam mit Rihanna vorgetragenen «The Monster», oder in «Love Game», einem  süffisanten und politisch inkorrekten Duett mit Jungrapper Kendrick Lamar. Oder aber er kontert auf Mr. Hyde (Slim Shady) mit Dr. Jekyll (Marshall Mathers), indem er nicht nur die alten Songs zitiert, sie gedanklich weiterspinnt oder in Frage stellt, sondern sich gar imstande zeigt,  frühere Anklagen gegenüber seiner verwahrlosten Mutter und den verblichenen Liebschaften in Songs wie «Brainless» oder «Rhyme Or Reason» mit einem Hauch von Versöhnung zu dämpfen. Dass er dabei Joe Walshs «Life’s Been Good» oder Wayne Fontanas «Game Of Love» als unüberhörbare Samples verwendet, spricht für den ironischen Anspruch, den Eminem trotz gespielter Ernsthaftigkeit immer wieder geschickt einzubauen weiss.

Auch wenn er immer wieder den Hofnarren in sich aufblitzen lässt: dass der kleine weisse Junge aus der untersten sozialen Schicht auch heute noch mit seinen Dämonen kämpft ist unüberhörbar. Während Rapper wie Nas oder Jay-Z sich mittlerweile dem Alter entsprechend neu positioniert haben und trotz ihres nicht immer leicht verlaufenden Werdegangs mit sich im Reinen zu sein scheinen, verkörpert Eminem weiterhin die Existenz eines Mannes, der wie ein Seiltänzer permanent mit dem Ausloten des Gleichgewichtes beschäftigt zu sein scheint. Die Fiebrigkeit und Hektik, die Eminem ausstrahlt und auch den Hörer kaum zur Ruhe kommen lässt, ist präsenter denn je. Er ist zweifellos der brillanteste Rapper seiner Generation. Kein anderer ist im Umgang mit der Reimkunst virtuoser. Eminem baut weiterhin verbale Architektur, die unendlich in den Himmel ragt. Da wird mit Silben jongliert, mit Reimen übers Kreuz gespielt und mit dem Tempo variiert, dass eigentlich ganze Heerscharen von Lyrikprofessoren in Entzückung verfallen sollten. Doch so sehr diese Virtuosität hypnotisch anziehend ist, so sehr untermauert sie auch die Atemlosigkeit des Protagonisten.

«The Marshall Mathers LP 2» ist weit davon entfernt musikalisch neue Massstäbe zu setzen, dafür setzen Eminem und seine Produzenten, darunter auch Rick Rubin, zu sehr auf nostalgische Zitate. Ebensowenig vermag das Album dem Hip-Hop neue Impulse zu verleihen in einer Art wie dies etwa Kanye West auf «Yeezus» erneut getan hat. Mit seinem irrwitzigen Tanz im eigenen Käfig der seelischen Abgründe, den verbalen Duellen zwischen seinen Alter Egos und den clownesken verbalen Ausfällen am Rande des Nervenzusammenbruchs hat sich Eminem aber sein eigenes Genre erschaffen. Über den irischen Altmeister Van Morrison hat mal einer gesagt, er habe in seinem Leben bloss einen einzigen Song erschaffen, und diesen würde er seitdem bloss immer aufs Neue variieren.. Eminem ist mittlerweile auch soweit. Und das ist alles andere als negativ gemeint.

#-#IMG2#-#
#-#SMALL#-#Eminem. The Marshall Mathers LP 2. Universal

«Berzerk» – Video »

«Survival» – Video »

#-#SMALL#-#

» empfehlen:
das projekt hilfe/kontakt werbung datenschutz/agb impressum