«Everyday Rebellion» – Gespräch mit The Riahi Brothers
«Gewalt ist ein völlig überholtes anarchistisches Grundmuster»
Damaskus, Teheran, New York, Kairo, Kiew oder Madrid: Ob gegen totalitäre Regimes oder gegen kapitalistische Ungerechtigkeit – überall auf der Welt versammeln sich immer mehr Menschen zum gewaltlosen Widerstand. The Riahi Brothers haben mit «Everyday Rebellion» dieser Form des zivilen Ungehorsams nun ein filmisches Denkmal gesetzt. TheTitle hat sich mit den beiden österreichischen Filmemachern zum Gespräch getroffen.
Interview: Rudolf AmstutzArash und Arman Riahi, was hat Sie dazu bewogen, den gewaltlosen Widerstand zum Thema eines Films zu machen?
Arman Riahi: 2009 waren die Präsidentschaftswahlen im Iran, bei denen Ahmadinedschad wiedergewählt wurde. Damals wurde die grüne Bewegung ins Leben gerufen. Und wir wurden Zeuge, wie eine friedliche Bewegung brutal niedergeschlagen wurde. Das war für uns – die wir ja im Iran geboren wurden – gewissermassen der Initialmoment. Wir versuchten dieses Gefühl der Ohnmacht zu überwinden, indem wir nicht nur einen Film über diese Bewegung machen wollten, sondern damit auch ganz klar Position beziehen wollten. Während der Dreharbeiten geschahen dann Dinge, die wir so nicht voraussehen konnten: der Arabische Frühling, die Indignados in Spanien, Occupy Wall Street. Und da entdeckten wir für uns das Thema der Gewaltlosigkeit im Widerstand, das alle diese völlig unterschiedlichen Bewegungen verbindet. Und so sind wir in all diese Länder gereist und haben die Protagonisten porträtiert.
Während des Projektes kamen also immer neue Bewegungen hinzu. Läuft man da nicht Gefahr, plötzlich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen zu können?
Arash Riahi: Natürlich. Wir hatten am Ende 1'400 Stunden Filmmaterial. Da kann schon mal Verzweiflung aufkommen (schmunzelt). Aber die Energie, die von diesen Bewegungen ausgeht, hat uns wirklich gepackt. Deshalb wollten wir auch die Poesie und die Sinnlichkeit dieser Bewegungen transportieren und nicht irgendeinen wackelig gedrehten Aktivistenfilm fabrizieren. Diese Menschen zelebrieren das Leben und nicht die Angst und den Tod. Wenn Menschen aufstehen, um sich eine Stimme zu verschaffen, dann kann das schon Gänsehaut vermitteln. In diesen Bewegungen geht es ja überhaupt nicht darum, einen schnellen Gewinn zu erzielen, sondern darum, dass man als Mensch etwas tut, um sich Gehör zu verschaffen. Das ist der elementare Teil solcher Bewegungen.
Aber der Film zeigt auch die unterschiedlichen Vorgehensweisen der Bewegungen.
Arash Riahi: Genau, dies wollten wir aufzeigen und haben bewusst den Film so strukturiert. Die Occupy-Bewegung ist geprägt von der Organisationsfähigkeit, die Frauen von Femen dagegen schaffen es mit ihren «Überfällen» bis auf einen Meter an Putin heranzukommen. Die spanischen Indignados zeigen, wie man als Community Stärke beweisen kann. Im Falle von Syrien und Iran werden Taktiken aufgezeigt, wie man mit kleinem Risiko für sich selbst, trotzdem gegen die Unterdrückung protestieren kann.
Es gibt auch noch einen anderen Unterschied: Die Menschen im Nahen Osten kämpfen gegen die Unterdrückung eines totalitären Staatsapparates, jene im Westen gegen die Auswüchse der unkontrollierten kapitalistischen Wirtschaft.
Arash Riahi: Das stimmt. Aber der Wunsch des Menschen nach einem humaneren Umfeld, nach einer besseren, gerechteren Welt verbindet all diese Menschen. Es ist ja egal, ob Islamisten, Nationalisten oder Kapitalisten das Sagen haben – letztlich geht es immer um das Gleiche: eine kleine Gruppe Menschen bereichert sich auf Kosten der Mehrheit. Und es ist ja nicht so, dass die einzelnen Bewegungen nicht zusammenarbeiten würden. Als wir das erste Mal in New York waren, erkundigte sich ein ägyptischer Aktivist bei den Leuten von Occupy über mögliche Taktiken. Es werden auch internationale Workshops durchgeführt, in denen man sich immer wieder austauscht. Und auf dieser gemeinsamen Ebene bewegt sich auch der Inhalt von «Everyday Rebellion». Hätten wir uns auf die politischen HIntergründe konzentriert, dann wäre die Halbwertszeit des Films rasant gewesen. Zudem liesse sich ein Zustand wie jener in Syrien sowieso nicht in zehn Minuten erklären.
Statt politische Erklärungen gibt es dafür im Film auch poetische Momente. Etwa wie der Ballon, der sich inmitten des New Yorker Verkehrs halten kann und die Leichtigkeit, Beharrlichkeit und auch die Unzerstörbarkeit der Bewegung symbolisiert.
Arash Riahi: Das ist die Schönheit des Dokumentarfilms: je mehr man sich vorbereitet, je mehr hat man dann ein Auge für die Zufälligkeiten und ist dann auch gewappnet, um solche einzigartigen Momente einzufangen.
Hat Sie die Arbeit an diesem Film auch persönlich verändert? Sehen Sie gewisse Dinge heute anders?
#-#IMG2#-#Arman Riahi: Natürlich. Wir haben enorm viel gelernt über die Welt – wie sie funktioniert und welches Potenzial darin liegt, wenn sich Menschen für eine gemeinsame Sache verbünden. Wir sind durch diese Arbeit von unserem westlichen Egotrip abgekommen, weil uns lebenswerte Alternativen aufgezeigt wurden. Natürlich haben uns die Eltern pazifistisch erzogen, aber wir haben erst durch die Arbeit an diesem Film die Gewaltlosigkeit als Leuchtturm entdeckt. Das klingt jetzt zwar kitschig, aber anders lässt sich dies kaum formulieren.
Arash Riahi: Wir wurden glühende Verfechter der Gewaltlosigkeit gerade wegen den Menschen, die wir getroffen haben. Von diesen Leuten geht eine grossartige Energie aus. Zudem begegnen sie einem von Beginn weg mit einem ungemeinen Vertrauen. Ich habe österreichische Kollegen, die in der Schweiz studieren und die sagen mir dann: «Ja, die Schweizer sind ganz nett, aber letztlich kommst du nicht wirklich an sie ran.» Und wenn es bei uns eine Ewigkeit dauert, bis man von jemanden nach Hause eingeladen wird, dann war das in Spanien völlig anders. Die ältere Frau, die man im Film sieht, die hat uns – ohne, dass sie uns vorher gekannt hat – zu sich nach Hause genommen. Und wir konnten da eine Woche lang übernachten mit unserem ganzen Equipment. Wir haben auch gelernt, dass es unglaublich Spass macht, Menschen zu vertrauen. Und dass man selten enttäuscht wird, wenn man bereit ist zu diesem Vertrauen.
Ist es nur die Mentalität, die Schweizer und Spanier voneinander unterscheidet? Oder hat es auch mit unserem Wohlstand zu tun, dass wir gegenüber anderen misstrauischer sind?
Arman Riahi: Es gibt ganz klar Mentalitätsunterschiede, deshalb lässt sich eine Bewegung per se nicht einfach exportieren oder importieren. Bewegungen beginnen immer sehr lokal und spezifisch. Aber natürlich ist der Spanier von der Wirtschaftskrise beeinflusst, die zu enormer Arbeitslosigkeit geführt hat und die Immobilienblase platzen liess. Diese Situation hat dazu geführt, dass die Menschen wieder hinaus auf die Strasse gehen und miteinander reden. So entstehen Bewegungen. Und obwohl es genügend Gründe gäbe, für Österreicher und Schweizer auf die Strasse zu gehen – letztlich geht es uns halt immer noch zu gut.
Arash Riahi: Wenn wir schon von Mentalitäten sprechen: Weshalb ist es eigentlich so, dass – kaum überquert man eine Grenze zu einem anderen Land – auch die Mentalität sich ändert? Wo einst Mentalitäten gebildet wurden, können auch neue entstehen. Und in unserer vernetzten Welt können wir wie nie zuvor voneinander lernen. Also wenn uns eine wärmere, menschlichere Mentalität besser gefällt, sollten wir diese gefälligst auch ausprobieren. Es gibt dieses schöne Zitat: «Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche». Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass es schwierig ist, einen Menschen, der durch die Gewalt eines totalitären Regimes seine Familie verloren hat, davon zu überzeugen, gewaltlos zu bleiben. Dennoch: Nur die Absenz von Gewalt führt zu einer Veränderung. Deshalb ist es so wichtig, den Gewaltkreislauf zu durchbrechen.
Arman Riahi: Aus diesem Grund sind Veränderungen im Nahen Osten und in den arabischen Ländern so schwierig. Da ist der Akt der Vergeltung so stark in der Gesellschaftsstruktur verankert, dass die gegenseitige Jahrhunderte dauernde Bekriegung völlig normal geworden ist. Dies wird auch den Kindern so weitergegeben. Die nächste grosse Evolution der Menschheit wäre doch, wenn man diese Spirale durchbricht und die Gewalt ganz bleiben lässt. Gewalt ist ein völlig überholtes anarchistisches Grundmuster. Die Erde hätte genügend Ressourcen für uns alle.
Arash Riahi: Man hält es ja fast nicht für möglich, aber es ist eine Tatsache, dass es in unserer Welt massiv weniger Gewalt gibt als noch vor hundert Jahren. Und es ist ja auch empirisch belegt, dass gewaltloser Widerstand auch in der Vergangenheit erfolgreicher war als der bewaffnete Kampf.
Im Film wird betont, dass es im Durchschnitt zweieinhalb Jahre dauert, bis sich beim gewaltlosen Widerstand Veränderungen einstellen. Der Mensch allerdings ist gerade heute ein ungeduldiges Wesen. Alles muss schnell gehen, Resultate müssen her. Dafür wäre doch der Weg das Ziel.
Arash Riahi: Das stimmt, ja. Wenn mir einer sagt, ich sei naiv, weil ich an diese Bewegungen glaube, obwohl es doch völlig klar sei, dass der Arabische Frühling gescheitert ist, dann werfe ich ihm seinerseits Naivität vor. Eine patriarchalische Gesellschaft, die Hunderte von Jahren totalitär regiert wurde, lässt sich nicht innert Monaten in ein demokratisches System verwandeln. Man stelle sich nur vor, wie lange es in der Schweiz dauerte, bis Frauen das Stimmrecht erhielten. Im Nahen Osten werden es vielleicht die Kinder oder deren Kinder sein, die es endlich schaffen werden, den Konflikt ein für alle mal zu beenden. Unsere Eltern, die als Linke an der iranischen Revolution beteiligt waren, sind daran gescheitert, weil sie keine Einheit mit einer gemeinsamen Vision und einer gewaltlosen Disziplin formen konnten. In Syrien arbeiten Moslems, Christen und Kommunisten gemeinsam an einer Zeit nach Assad. Eine Bewegung muss sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können, Differenzen haben da keinen Platz.
Gab es eigentlich Widerstand gegen den Film? Hatten Sie Probleme beim Drehen?
Arash Riahi: Nur dann, wenn wir wirklich nahe an einer Protestaktion filmten. Die New Yorker Polizei wurde unter Bürgermeister Michael Bloomberg zu einer Art Söldnertruppe. Das waren ja alle zwei Meter grosse von oben bis unten tätowierte Schränke, die selbst wie Kriminelle aussahen und die dann nicht einmal gegenüber Aktivisten im Rollstuhl Hemmungen hatten. Da wurde es auch für uns brenzlig, aber letztlich hatten wir Glück. Zudem ist das alles kein Vergleich zu all jenen Orten, an denen Menschen um ihr Leben fürchten müssen.
«Everyday Rebellion» ist ja mehr als nur ein Film: Es existiert eine Crossmedia-Plattform und in Kürze folgt eine App mit Informationen für Aktivisten. Während also via Internet alles im Fluss bleibt, zeigt der Film nur eine Momentaufnahme. Ist in dieser Hinsicht auch eine Fortsetzung geplant?
Arash Riahi: Es gibt die Idee, dass wir einen zweiten Teil machen mit dem Titel «Everyday Rebellion: After The Revolution». Es ginge darum, die Zeit nach einem gelungenen Umsturz wie etwa im Rahmen des Arabischen Frühlings zu zeigen, wo dann nationalistische oder religiöse Gruppierungen, die besser organisiert sind als das Volk, die Bewegung durch das entstehende Vakuum in Besitz nehmen. Und wir wollen die harte Arbeit aufzeigen, die nach der Revolution ansteht: wie man eine soziale Gesellschaft aufbauen und Demokratisierungsprozesse fördern kann.
Arman Riahi: Und da wir ja 1'400 Stunden Filmmaterial besitzen, denke ich auch, dass wir die DVD mit unveröffentlichten Szenen ergänzen werden.
Das Filmprojekt wurde mit öffentlichen Geldern finanziert, die Bewegungen ihrerseits leben von privaten Spenden. Gibt es da auch hohe Summen, die von Reichen gespendet werden?
Arash Riahi: In New York sind uns Menschen begegnet, die vom Vermögen her zu den «One Percentern», also zu den ganz Reichen gehören, die uns aber klar zu verstehen gaben, dass sie mit der Occupy-Bewegung sympathisieren.
Arman Riahi: Also, es gibt schon Bewegungen, die anonym sehr hohe Spenden erhalten. Meine Meinung ist, dass solange dieses Geld für einen guten Zweck eingesetzt wird, kann das Geld von mir aus auch von George Bush stammen. Femen etwa verkaufen ihre Logos und T-Shirts und finanzieren sich so. Aber natürlich gibt es bei der Finanzierung solcher Projekte immer wieder die Stimmen jener Verschwörungstheoretiker, die behaupten, Amerika stecke sowieso immer hinter allem. Und dies obwohl wir im Film gerade das Gegenteil zeigen, nämlich wieviel man als Einzelperson oder kleine Gruppe erreichen kann.
Arash Riahi: Mir fällt auf, dass die Generation, die vom Kalten Krieg geprägt ist, eine festsitzende Paranoia besitzt und hinter allem etwas sieht oder vermutet. Ich glaube, das gehört auch zur Taktik des herrschenden Systems, dass sie uns glauben lassen wollen, dass hinter allem noch etwas anderes steckt. Putin macht ja zurzeit den Russen weis, dass in der Ukraine die Faschisten nun das Sagen hätten. Damit spielt er mit den traumatischen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Und einer hat mich gefragt, ob man denn überhaupt wisse, wer denn im Falle von Femen wirklich hinter deren Logo und dessen Finanzierung stecke. Femen hat 100'000 Facebook-Freunde. Wenn die ein neues Logo benötigen, dann haben sie innert kürzester Zeit ein Dutzend kostenloser Design-Vorschläge von sympathisierenden Gestaltern.
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