25. Januar 2007

Tom Waits – das Interview

«Wir schlürfen alle mal aus dem Napf der Finsternis»

Mit «Orphans» hat Tom Waits sein kreatives Doppelleben offengelegt. Die Realisierung dieses Triplealbums war bei der Vielseitigkeit des rauhen Barden allerdings nicht immer einfach. TheTitle. traf ihn deshalb im kalifornischen Petaluma zum klärenden Gespräch. Und weiss seitdem: Klebstoff und Rotwein passen einfach nicht zusammen. Oder doch?

Interview: Nick Joyce
Tom Waits 2011 by Jesse Dylan. Foto: © Jesse Dylan

(Dieses Interview erschien erstmals in: TheTitle No. 1 / 25.1.2007)

Mit Ach und Krach habe ich 2004 Tickets für Ihr letztes Berliner Konzert ergattert. Es war ein toller Auftritt – und Marc Ribot an der Gitarre war sensationell.

Tom Waits: Jaaa, das war ein guter Abend. Brian «Brain» Mantia,  der sonst bei Primus spielt, war damals noch dabei. Aber jetzt ist er bei Guns N’Roses und mein Sohn Casey hat das Schlagzeug bei der letzten Amerikatournee übernommen. Er ist wirklich gut, auch wenn es wirklich eine Herausforderung ist, mit der eigenen Familie zusammenzuspielen.

Während den Aufnahmen zu «Real Gone» soll er immer «Räume Dein Zimmer auf» oder «Nimm den Müll nach draussen» verstanden haben, wenn Sie ihm musikalische Anweisungen erteilt haben.

Jetzt geht alles viel einfacher. Er weiss inzwischen, dass ich ihn mit meinen Anweisungen nicht schikanieren will, und dass es mir in erster Linie darum geht, einen bestimmten Sound hinzukriegen. Es funktioniert also wirklich gut zwischen uns. Jetzt möchte ich Sie aber etwas fragen: gibt es Stücke auf «Orphans», die für Sie waren?

Allerdings.  Die Coverversionen von Skip Spences «Book Of Moses» und Daniel Johnstons «King Kong» hatte ich bisher noch nie gehört.

Das freut mich. Es gibt nämlich viele Leute, die das ganze Zeug sammeln und schon alles bei sich zuhause stehen haben – deshalb meine Frage. Und es gibt noch viel mehr Material, das wir gar nicht verwendet haben. In der Hitze des Gefechts haben wir sogar einen Fats-Waller-Song vergessen. Aber meine Frau sagt immer, dass das das Problem ist, wenn man zu viele Kinder hat: das eine oder andere davon wird unweigerlich beim Tanken oder Einkaufen verloren gehen.

Sie reden schon seit vier Jahren davon, ein Album mit seltenen Aufnahmen und vergessenen Songs herauszugeben. Sind Sie auf diese Idee gekommen, als sie 2002 Ihre alte Theatermusik für Robert Wilsons «Alice» hervorgekramt haben?

Wir haben diese Stücke und Aufnahmen einfach mal gesammelt, um herauszufinden, ob sie zusammen irgendwelchen Sinn ergeben. «Orphans» dokumentiert nämlich so etwas wie ein kreatives Parallelleben für mich. Wenn man selber an etwas werkelt, kommt unweigerlich jemand anderes vorbei und bittet einen, alles fallen zu lassen und bei seinem Projekt mitzumachen. Wenn man ein Klavier auf dem Buckel hat und irgendwo hintragen will, ist es ja auch immer so, dass jemand einen um Feuer für seine Zigarette bittet. Das ist einfach ein Naturgesetz.

Mit über drei Stunden Musik muten Sie dem Zuhörer ziemlich viel zu. Und doch kann man sich von der ersten bis zur dritten CD durchhören und gleich wieder von vorne anfangen.

Ich muss zugeben, dass ich mit der Bestimmung der Reihenfolge ziemlich überfordert war. Mir kam es vor, als würden wir das Julie-Andrews-Musical «The Sound Of Music» mit «The Pawnbroker», dem berühmten Film über die Spätfolgen der Shoa, zusammenschneiden. Das ging einfach nicht. Da kam meine Frau auf die Idee, die Songs thematisch und stilistisch zu gruppieren. Ohne sie wäre ich aufgeschmissen gewesen. Wie gefielen Ihnen denn die Spoken-Word-Stücke?

Ihre Vertonung von Charles Bukowskis Gedicht «Nirvana» ist wunderschön gekommen.

Das ist es wirklich. Es ist auch eines meiner Lieblingsgedichte. Ich hatte schon oft dieses erhabene Gefühl, dass darin beschrieben wird, das die Welt für einen kurzen Augenblick in Lot ist und der Film meines Lebens jetzt bitte sofort aufhören müsste, damit nichts mehr schiefgehen kann. Mir fiel es allerdings schwer, das Gedicht einzuspielen. Ich konnte es nicht einfach ins Mikrofon lesen, ich musste es wie ein Song arrangieren.

Kommt es oft vor, dass Ihnen ein Stück oder ein Experiment einfach nicht gelingen will?

Manchmal stimmt die Windrichtung einfach nicht, da kann man noch so viele Anläufe nehmen. Dann muss man einfach seine Sachen zusammenpacken und es an einem anderen Tag wieder versuchen. Durch solche Erlebnisse wird einem aber einmal mehr bewusst, dass die Musik kein Kinderspiel ist und ihre ganz eigene Kraft hat. Sie lässt es nicht zu, dass man Stile wild durcheinander mischt. Rotwein und Klebstoff: das passt nicht gut zusammen. Oder vielleicht doch, aber ein solches Gebräu würde man nie im Leben freiwillig zu sich nehmen.

«The Pontiac» gefällt mir auch sehr gut.

Dort mache ich meinen Schwiegervater nach. Wenn er mal über Autos redet, dann ist er nicht mehr zu bremsen, dann muss man sich den ganzen Nachmittag für ihn frei nehmen. Er erinnert sich nämlich an jedes Detail an jedem Auto, das ihm je gehört hat. Der vergisst nichts, es ist faszinierend. Ich war einfach dabei, ihn nachzumachen und meine Frau hat mein Gelaber auf der Stereoanlage im Auto festgehalten.

«Children’s Story» finde ich hingegen ziemlich deprimierend. Dort haben Sie den Augenblick eingefangen, wo ein Kind seine Unschuld verliert und die Dinge als so kaputt erkennt, wie sie in Wirklichkeit auch sind.

Das war gemein von mir, das gebe ich zu. Aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, so etwas zu machen. Und ich löse die ganze Gemeinheit auch ein bisschen auf, indem ich am Schluss lache. Meine Kinder wissen schon, wie ich halt so bin, und sie haben alle den gleichen finsteren Humor wie ich. Der kommt bei jeder Mahlzeit auf den Tisch.

Absolut überraschend war für mich «The Road To Peace». So unmittelbar politisch waren Sie noch nie.

Ich habe einen Artikel in der New York Times gelesen, in dem es um ein Selbstmordattentat auf einen Bus in Israel ging. Ich musste etwas darüber schreiben, weil ich mich schuldig gefühlt hätte, wenn ich den Artikel einfach zum Altpapier gelegt hätte. Aber es ist nicht ganz einfach, sich in einen fremden Konflikt einzumischen. Ich wollte nicht für die eine oder die andere Seite Partei ergreifen, aber das lässt sich kaum vermeiden, wenn man als Journalist oder Musiker über etwas wie den Nahen Osten schreibt.

In «The Road To Peace» machen Sie aber unmissverständlich klar, wer für den ganzen Schlamassel verantwortlich ist: die Politiker und Terroristen. Nicht das Fussvolk, das tagtäglich unter diesem Konflikt zu leiden hat.

Ich wollte eigentlich aus der Perspektive eines Kindes erzählen, das miterleben muss, wie seine Eltern streiten und sie anfleht, endlich damit aufzuhören. Die meisten Konflikte gehen auf ganz kleine Ereignisse in der grauen Vorzeit zurück und es beelendet mich immer wieder von Neuem, wie rachsüchtig wir Menschen doch sind. Wie sagt man doch? Rache ist ein Gericht, das man besser kalt verspeist.

«The Road To Peace» ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Sie Informationen und Details in einen Song packen können. So viel Dichte bringt kein europäischer Songwriter zustande.

Das hat wohl auch damit zu tun, dass das amerikanische Englisch immer wieder geschmiedet wird und sich laufend zu einer neuen Sprache weiterentwickelt. Bei diesem Prozess spielt Musik wie Blues, Jazz und Hip-Hop natürlich eine wichtige Rolle, weil die Songtexter immer auf der Suche nach neuen Ausdrücken und Begriffen sind, die nicht bloss die richtige Bedeutung haben, sondern auch den passenden Sound mitbringen. Das fällt mir immer wieder ein, wenn ich selber Songs schreibe. Ich beginne die Arbeit am Text oft mit Nonsens-Lauten, die sich allmählich in Wörter verwandeln und mir so den Inhalt des Songs offenbaren.

In ihren Songs gehen Sie ja mit Metaphern um wie ein Jazzmusiker mit Akkorden. Er ist auch immer auf der Suche nach ausgefallenen Harmonien, die die Struktur eines Songs biegen, aber nicht brechen dürfen.

Ich liebe Metaphern. Ich erwische mich manchmal dabei, mich ausschliesslich in Metaphern auszudrücken. Aber für mich ist eine Metapher ein Mittel, um etwas verständlich zu machen – anders als die vielen Fachleute, die ihren eigenen Jargon einsetzen, um andere Menschen einzuschüchtern. Ärzte sind da die häufigsten Übeltäter.

Neulich habe ich einen Dokumentarfilm über David Lynch gesehen, wo einer seiner Schauspieler sich dafür begeistert hat, dass Lynchs Regieanweisungen immer Metaphern sind. Da habe ich mich gefragt, ob es eigentlich einen anderen Weg gäbe, gute Regieanweisungen zu geben.

Ich wüsste keinen. Man muss ja auch zu Metaphern greifen, wenn man Musiker mit unterschiedlichen Biographien zu einem gemeinsamen Aha-Erlebnis verhelfen will. Ich sage ihnen zum Beispiel, sie sollen so spielen, wie wenn ihr Haar brennen würde. Oder wie wenn mein Haar brennen würde. Und weil Musiker von Natur aus für Eingebungen offen sein müssen, wissen sie genau, wie sie solche Bilder umsetzen sollen. 

Konnten sie schon immer gut mit der Sprache umgehen?

Ich denke schon. Metaphern besitzt man schon, bevor man überhaupt richtig sprechen kann. Sie helfen einem ja auch, die Welt ein bisschen kleiner und auch freundlicher wirken zu lassen. Früher habe ich CDs gehasst, bis ich gemerkt habe, dass sie mich an Bagels erinnern. Die passen ja auch in jede Hosentasche und sind aussen hart und innen verletzlich. Genau wie eine CD, bei der die harte Schachtel das schmackhafte Innere vor der Aussenwelt schützt.

Die meisten Sprachkünstler entwickeln ihre Schlagfertigkeit während der Schulzeit, weil sie mit Humor Prügel abwehren können. War das bei Ihnen auch so? 

Die Sprache kann eine starke Waffe sein, das stimmt. Bei mir wars wie bei allen Kindern: irgendwann kommt die Zeit, wo man sich entscheiden muss, ob man sich sportlich oder künstlerisch weiterentwickeln will. Ich hatte schlicht nicht die Ausdauer, um Sportler zu werden, aber mir ist damals aufgefallen, dass die Leute immer gelacht haben, wenn ich auf dem Spielfeld war. Da dachte ich mir, das ist vielleicht gar nicht so schlimm. Vielleicht führt mein Weg mich auf die Bühne, weil ich nicht wirklich gut aussehe und mich dazu auch noch komisch bewege. Das kommt schon vor im Leben, dass das Schicksal einem zeigt, wo es langgehen soll.

Einer meiner Lieblingsstücke aus «Orphans» ist «Heigh Ho», ihre Version des Zwergensongs aus Walt Disneys «Schneewittchen». Ich denke, dass war der Moment, bei dem Sie begonnen haben, mit fremden Sounds zu experimentieren.

Der klingt so wie er klingt, weil er in New York entstand. Als die ganze Stadt eine Baustelle war und man überall nur Presslufthammer hörte. Ich mag den Song auch, allerdings ist er mit Unannehmlichkeiten verbunden. Die Leute von Disney haben mich zu verklagen versucht, weil sie glaubten, ich hätte den Songtext verunstaltet. Stimmt gar nicht. Ich habe kein Wort geändert. Der Text ist genau wie im Original.

«Heigh Ho» stammt ja aus Hal Willners Tribute-Album «Stay Awake». Hatten Sie denn gar nicht Lust, bei seinem jügsten Projekt «Rogue's Gallery» mitzumachen?

Doch. Ich wusste sogar, dass ich das Shanty «Shenandoah» singen wollte, aber ich hatte schlicht keine Zeit, um damit ins Studio zu gehen. Mir gefiel aber die Idee hinter «Rogue’s Gallery», dass diese Piratenlieder so etwas wie der Punkrock ihrer Zeit waren.

Jede Generation hat ihren Punkrock. Für die Griechen ist er Rembetika, für die Afroamerikaner der Blues und  später der Hip-Hop.

Alle glauben, dass sie die ersten sind, die wirklich böse Musik machen. Aber diese Marktnische gehört eigentlich niemanden. Wir schlürfen alle mal aus dem Napf der Finsternis.

#-#SMALL#-#Tom Waits: «Orphans: Brawlers, Bawlers & Bastards» (3 CDs / Anti Records)

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