19. September 2013

Interview mit Elvis Costello

«Musik ist ein grosses, wunderbares Abenteuer»

Schon mit seinem eleganten Debütalbum mitten in der Punkzeit wagte es Elvis Costello, gegen den Strom anzuschwimmen. Seither hat er sich ständig auf immer neue Herausforderungen eingelassen. Auch jetzt wieder: Nach Kollaborationen mit Paul McCartney, Burt Bacharach und Anne-Sophie Otter hat er sich mit der wegweisenden amerikanischen Hip-Hop-Gruppe The Roots zusammengetan. TheTitle hat den Meister des bissigen Songschreibens in London getroffen.

Interview: Hanspeter Künzler
Sucht unbeirrt nach neuen Ufern: Elvis Costello. Bild: © Danny Clinch / Universal Music

Also, zuerst müssen wir natürlich wissen, wie es zu dieser ungewöhnlichen Zusammenarbeit mit den Roots gekommen ist!

Elvis Costello: Ich habe in meinem Leben ja schon eine Menge Alben gemacht und war mit meiner Situation eigentlich ganz zufrieden. Mein letztes Album «National Ransom» gehört – so glaube ich – zu meinen besten, aber irgendwie hat es nicht jenes Echo ausgelöst, das ich erhofft hatte. So fand ich mich damit ab, in Zukunft vor allem Konzerte zu geben, denn diese wiederum liefen wunderbar. Und so wurde ich eines Tages eingeladen, in der Late Night-Show von Jimmy Fallon auf NBC aufzutreten. Seit geraumer Zeit walten The Roots dort ja als Hausband. Als ich im Studio eintraf, überraschten sie mich mit einem völlig neuen Arrangement für mein altes Lied «High Fidelity». Später spielte ich dann mit ihnen ein Lied aus «National Ransom» – mit dem Gitarristen John McLaughlin als Gast. Und beim dritten Aufeinandertreffen kombinierten wir einen Bruce Springsteen-Song mit dem Bass-Riff von «The Liquidator». Die Vielseitigkeit dieser Band beeindruckte mich enorm. Und deshalb machten wir einfach weiter. Ein Song, dann zwei, vier – und auf einmal hatten wir deren 15 oder sogar 20 beisammen.

Kannten The Roots Ihr Werk überhaupt?

Ich stand offenbar vom ersten Moment an auf ihrer Wunschliste, als sie bei NBC begannen und erfuhren, dass sie fortan mit Musikern aller Art zusammenspielen können. Ich sah dann ihren iPod, mit welchem sie sich auf unsere Begegnung vorbereitet hatten. Da waren mehr Songs drauf als ich dachte überhaupt je aufgenommen zu haben. Massen von obskuren Versionen und vieles mehr. Questlove (alias Ahmir Thompson, Drummer, Buchautor und Kopf von The Roots, Anm. des Verf.) besitzt ja eine gigantische Plattensammlung.

Stimmt es, dass Sie bei Ihrem ersten Auftritt in «Late Night with Jimmy Fallon» zur Begrüssung einen Werbe-Jingle spielten, den Ihr Vater einst komponiert hatte?

Das stimmt. The Roots kannten selbst diesen! Wie zum Teufel sind sie nur auf den gestossen? Es war ein Jingle für den Limonaden-Hersteller R. White.

Textlich haben Sie sich in Ihren Texten immer wieder mit politischen Themen befasst – da macht «Wise Up Ghost» keine Ausnahme. Wie wichtig ist es Ihnen, dass Sie sich mit den anderen Musikern im Studio auch in dieser Hinsicht verstehen?

Wir haben darüber nie konkret gesprochen, so wie wir auch nie einen philosophischen Dialog darüber geführt haben, warum wir dieses Album machen wollten. Hingegen verbinden Questlove und mich einige sehr persönliche Umstände. Unsere Väter waren beide Sänger. Wir waren von Kindsbeinen an mit Musik umgeben und darum auch vertraut mit der Möglichkeit, dass Musik eine Berufung und ein Beruf sein kann. Aber auf politischer und sozialer Ebene haben wir einen vollkommen anderen Hintergrund. Zudem gehören wir verschiedenen Generationen an. Wobei: The Roots sind ja auch keine Anfänger. Ich bin bloss zehn Jahre länger im Geschäft als sie.

Mehrmals begegnen wir auf dem neuen Album Zitaten aus alten Liedern von Ihnen. «Stick Out Your Tongue» beispielsweise führt uns zurück zum bitterbösen «Pills & Soap». Wie sind diese historischen Zitate zu verstehen?

Es sind quasi Samples. Samples aus meinen eigenen Platten, zwar neu eingespielt, aber doch irgendwie Samples. Wir haben keine Regeln aufgestellt. Es tauchen auch Samples von anderen Künstlern auf. Thematisch und melodisch passten die eigenen Zitate schlicht am besten. Sowieso war das Zitieren schon immer Teil meines Stils. Steve Nieve, mein Keyboarder, war 1977 bei unserem ersten Album («My Aim Is True», Elvis Costello and The Attractions, Anm. der Red.) noch sehr jung, aber er kannte sich sowohl in der Klassik wie auch bei T. Rex aus, was mit ein Grund dafür war, dass unsere Musik gespickt war mit Zitaten. Im Jazz und im Hip-Hop gehört dieses Verfahren ohnehin zum Alltag.

Allerdings zitieren sie nicht nur Geräusche und eingängige Melodien, sondern auch Worte. Das zeigt doch, dass Sie glauben, Ihre Texte von damals seien heute noch genauso relevant wie zu der Zeit, als Margaret Thatcher britische Soldaten auf die Falkland-Inseln schickte.

Ich würde einige Texte auf dem neuen Album als Collagen bezeichnen. Ich wollte Gedanken aus verschiedenen Quellen zusammenbringen und in einen neuen Zusammenhang stellen. Es stimmt, gewisse Vorgänge, über die ich in den 1980er Jahren gesungen habe, wirken heute sogar noch bedrohlicher, denn diese Dinge geschehen weiterhin. «Refused To Be Saved» stammt aus der Zeit der Invasion in Panama. Nun blickt man auf die Invasionen in Irak und Afghanistan zurück und stellt fest, dass dort die gleichen Fehler begangen worden sind. Das finde ich äusserst beunruhigend. Indes hoffe ich sehr, dass man aus diesem Album nicht nur das Dunkle und Brutale heraushört, sondern auch den Humor und die Spielfreude, die darin steckt. Die Aufnahmen haben enormen Spass gemacht – das kann ich nicht genug betonen.

In den Augen vieler politisch motivierter Songschreiber war Margaret Thatcher in den 1980er Jahren so etwas wie eine lebendige Metapher für alles, was faul war im Staat. Sie selber haben sich ihren Zorn mit «Tramp The Dirt Down» von der Seele geschrieben, als Sie davon sangen, auf Thatchers Grab die Erde festzustampfen. Wie haben Sie ihren Tod im Frühling aufgenommen?

Ich habe sie ja nicht persönlich umgebracht, deswegen hatte ich weder Schuldgefühle noch verspürte ich Genugtuung. Vor ungefähr 18 Monaten habe ich meinen Vater verloren. Er litt – wie Margaret Thatcher – an Demenz. So weiss ich aus eigener Erfahrung, wie traurig und elend ein solches Schicksal ist. Ich möchte es auch meinem übelsten Feind nie wünschen. Was «Tramp The Dirt Down» angeht: Der Text ist keineswegs schwarz-weiss. Es gibt Schattierungen, besonders im Zuteilen von Schuldvorwürfen. Sobald man ein bisschen zu graben anfängt, wird der Sachverhalt sehr viel komplexer, als die Schlagzeilen einem glauben machen wollen. Hingegen ist klar, dass die Zukunft nicht so herausgekommen ist, wie wir uns das in unserer Jugend vorgestellt haben. Eine Menge Dinge in England, die uns einst als Gemeinschaft gehört hatten, sind uns weggenommen und verschachert worden. Deshalb habe ich «Tramp The Dirt Down» nun wieder ins Live-Repertoire aufgenommen. Das Land wird immer noch von der gleichen Herde von Schweinen regiert wie damals.

Drei musikalische Elemente greifen auf «Wise Up Ghost» ineinander. Auf der einen Seite sind da Ihre bösen und bissigen Texte. Dazu kommen die gewohnt herrlichen Gesangsmelodien – und dann die oft sehr spröde, musikalische Begleitung durch The Roots und da vor allem das beinharte Schlagzeug von Questlove.

Das ist richtig. Unglaublich, wie hart Questlove schlägt! Ich als Sänger hatte in diesem Kontext viel mehr Platz, als ich mir das üblicherweise gewohnt bin. Ich konnte die Worte nach Lust und Laune dehnen und biegen. Ein Text wie «Bedlam» bekam mit The Roots hinter mir viel mehr Platz zum Atmen. Das kam mir sehr entgegen. Ich bin – ohne dass ich mich gerne selber lobe – ein recht virtuoser, rhythmischer Sänger. Es fehlt mir wohl der feine Ton eines Tony Bennett, dafür habe ich ein gutes Gefühl für verbalen Rhythmus. Deswegen sind gute Cover-Versionen von meinen Liedern so selten. Technisch gesehen sind sie schwierig zum Singen. In diesem Punkt gleichen sie dem Hip-Hop, auch wenn ich mich nie als Rapper bezeichnen würde.

Interessante These – sie ist mir völlig neu.

Das ist so auch noch nirgends gesagt worden. So bin ich denn der Erste! Das Ganze steht in der Tradition von Chuck Berry und Bob Dylan: Sehr rhythmisch, viele Silben, und doch Gesang, nicht Deklamation. Klar, es gibt genug Leute, die finden, meine Lieder hätten zu viele Wörter. Aber das kann es doch gar nicht geben: «zu viele Worte»! Das wäre dasselbe wie wenn einer einen Musiker kritisieren würde, weil er zu viele Töne spielt. Stellen Sie sich vor, man hätte dies John Coltrane vorgeworfen!

Haben Sie vor, mit the Roots eine Tournee zu unternehmen?

Die erste Schwierigkeit wäre die, dass wir die Band wohl im Warenlift aus dem NBC-Gebäude schmuggeln müssten. Wir haben darüber gesprochen, aber es dürfte schwierig zu organisieren sein. Natürlich besteht die Hoffnung, dass beim Erscheinen des Albums das Interesse geschürt wird und sich plötzlich neue Möglichkeiten eröffnen. Es existiert schon noch ein Stückchen alte Welt da draussen, in der das Erscheinen eines Albums immer noch mit Live-Auftritten einhergeht.

Wer ist die Sängerin, die so schön singt im Lied «Cinco Minutos Con Vos»?

Sie heisst La Marisoul und gehört zur Gruppe La Santa Cecilia aus Los Angeles. Es gibt von dieser Band eine grossartige Version von «Strawberry Fields Forever». Ich lernte sie durch ihren Produzenten Sebastian Krys kennen. Vor zwei Jahren trat sie als Gast mit meiner Band The Imposters auf und seither habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, sie in irgend ein anderes Projekt mit einzubeziehen. Der Text für dieses Lied hat seinen Ursprung wohl darin, dass mir in den letzten 18 Monate viele Fragen zu einem meiner alten Songs gestellt wurden: «Ship Building», den ich vor dreissig Jahren schrieb und der vom Falkland-Krieg handelt. Es dauerte dreissig Jahre, bis ich einen Weg fand, ein Lied aus der Perspektive der Gegenseite zu schreiben, ohne dabei zu klingen, als würde ich über ein Thema singen, von dem ich keine Ahnung habe. Das Lied erzählt die Geschichte von einem Mädchen, das in Montevideo, wo sie im Exil lebt, auf die Ankunft ihres Vaters wartet. Aber dieser ist unterwegs aus dem Flugzeug gestossen worden. Der Grund, warum ich dieses Thema jetzt aufgegriffen habe, liegt wohl darin, dass auch wir nun Menschen in Flugzeugen irgendwohin transportieren, wo keiner mehr weiss, was mit ihnen geschieht, und ohne zu wissen, ob diese Menschen überhaupt schuldig sind. Solche Dinge haben früher nur die «bad guys» getan. Jetzt gehören wir auch zu diesen «bad guys».

(Das Handy von Elvis Costello vibriert – er entschuldigt sich und liest kurz die SMS)

Verzeihen Sie – ich behalte das Handy angeschaltet, weil ich mit meinen beiden Buben in Kontakt bleiben möchte (die Zwillinge sind sechs Jahre alt, Costello ist seit zehn Jahren mit der Sängerin Diana Krall verheiratet, Anm. des Verf.). Heute ist ein grosser Tag für sie. Die Tournee ihrer Mutter beginnt in Deutschland, und sie sind mit dabei.

Wie hat die Geburt der Buben Ihre Haltung zur Arbeit beeinflusst?

Ich vermisse sie natürlich schrecklich, wenn ich allein unterwegs bin. Wir hatten sehr viel Spass zusammen in den letzten paar Wochen. Zwischen dem Ende meiner England-Tournee und jetzt haben wir Ferien gemacht. Es ist ein unglaublicher Luxus, mehrere Wochen lang nur mit ihnen verbringen zu können. Wir sind in der schönen Lage, uns diese Zeit nehmen zu können. Anders als Leute, die im Büro oder in einer Fabrik oder gar an der Börse arbeiten. Die sehen ihre Kinder nur an Wochenenden und während den Ferien.

Sie werden nächstes Jahr sechzig. Ist mit dem Älterwerden das Bedürfnis, gewisse Ziele zu erreichen, dringlicher geworden?

Vor allem ist das Bedürfnis grösser geworden, keine Zeit ohne meine Familie zu verschwenden. Wenn ich mich allein auf die Reise begeben muss, dann muss es einen Sinn haben. Es muss im Dienste meiner Identität als Mensch und Künstler stehen. Man will nicht mehr die ganze Nacht irgendwelchen neuen «Thrills» nachjagen, die nicht direkt mit Musik verbunden sind. Ich bin disziplinierter geworden in den letzten Jahren. Wobei ich mich auch hier ein bisschen loben muss. Für einen so undisziplinierten Menschen wie ich es bin, habe ich doch eine Menge Platten aufgenommen. Nicht schlecht, oder?

Während eines Konzertes in London erwähnten Sie kürzlich, dass Sie zusammen mit Burt Bacharach ein Musical in Arbeit haben. Worum geht es da?

Ja! Ich hatte letzthin das verrückte Erlebnis, dass ich am Ende einer dreistündigen Show in Blackpool ins Hotelzimmer zurückkehrte, und um halb Eins klingelte das Telephon, Burt Bacharach wollte ziemlich ungeduldig wissen, wo meine Texte für die neuen Songs seien. Der Mann schuftet unermüdlich – einfach fantastisch! Es handelt sich um die Adaption des Buches «Painted from Memory» für die Bühne (der Titelsong des gleichnamigen, 1998 erschienenen Albums von Costello und Bacharach hiess so, Anm. des Verf.). Der erste Akt ist fertiggestellt, jetzt sind wir am zweiten. Wir haben bis jetzt sechs neue Lieder beisammen.

Viele einst kühne Musiker ruhen sich im fortgeschrittenen Alter auf Ihren Lorbeeren aus. Sie nicht – das beweist auch dieses neue Album wieder. Wie bewahren Sie die Passion und Energie dafür, immer wieder Neues zu wagen?

Nun, es gibt durchaus auch die Meinung, ich solle dieses Herumblödeln endlich lassen und nur noch Platten veröffentlichen, die klingen wie ich. Klar tut es gut, ab und zu zur alten Formel zurückzukehren. Andererseits ist Musik doch einfach ein einziges, grosses, wunderbares Abenteuer, das uns als Menschen hoffentlich ein bisschen bereichern kann. Markenidentität und all so was ist doch Unsinn. Alles nicht so wichtig. Hingegen sollte man nur Lieder singen, die einem etwas bedeuten. Ich trage noch immer Songs mit mir herum, die ich vor 35 Jahren geschrieben habe – Lieder, hinter denen ich stehen kann und die die Leute freundlicherweise immer noch hören wollen. Mir haben immer die alten Country-Typen gefallen, die auf der Bühne Sprüche fallen liessen wie: «Jetzt kommt ein Lied, das über die Jahre hinweg sehr gut gewesen ist zu mir und den Boys.» Ich glaube, bald bin ich auch so weit, dass ich das sagen kann.

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Elvis Costello & The Roots - «Wise Up Ghost» (Live @ Brooklyn Bowl, 16. September 2013) »

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